Der Vergleich: PROFINET vs. EtherCAT

Bei der Auswahl eines industriellen Kommunikationssystems stehen Unternehmen oft vor der Entscheidung zwischen PROFINET und EtherCAT. Beide Systeme haben ihre Stärken – doch welche Lösung passt besser zu den Anforderungen im eigenen Betrieb? In diesem Artikel werden praxisrelevante Entscheidungskriterien dargestellt, die für dich wirklich wichtig sind.

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Funktionsprinzip

PROFINET und EtherCAT basieren auf Ethernet. Sie unterscheiden sich aber grundlegend in der Art und Weise, wie sie Daten übertragen:

PROFINET

Im Normalfall werden einzelne Telegramme von einem PROFINET-Controller (z. B. eine SPS) an mehrere PROFINET-Devices (z. B. IO-Module, Antriebe, ...) über ein Ethernet-Netzwerk mit Switches gesendet.

PROFINET unterscheidet je nach Echtzeit-Anforderung drei Varianten:

  • PROFINET NRT (Non Real Time): Standard-Ethernet-Kommunikation für z. B. HMI oder IT-Systeme, Adressierung mit IP-Adresse, somit Datentransfer über Router möglich.
  • PROFINET RT (Real Time): Echtzeitfähige Kommunikation auf Layer 2 des ISO-OSI-Schichtenmodells.
  • PROFINET IRT (Isochronous Real Time): Synchronisierte Kommunikation mit Zeitslots (Time Division Multiple Access, TDMA) für harte Echtzeitanforderungen; ab Version 2.3 mit Dynamic Frame Packaging (DFP) zur verbesserten Bandbreitennutzung und geringerem Jitter.
EtherCAT

EtherCAT funktioniert grundlegend anders. Statt einzelne Telegramme an jeden Slave zu senden, wird ein durchlaufendes Telegramm vom Master generiert, das durch alle Slaves „durchgereicht“ wird ("processing-on-the-fly").

  • Jeder Slave liest seine Daten aus dem Telegramm heraus (on the fly) und kann gleichzeitig seine Ausgangsdaten einschreiben.
  • Die Telegramme sind so strukturiert, dass viele Slaves in einem einzigen Frame adressiert werden können.
  • Das reduziert die Buslast und ermöglicht extrem kurze Zykluszeiten.

Die Teilnehmer benötigen keine IP-Adressen. Stattdessen erfolgt die Zuordnung rein positionsbasiert über den physikalischen Aufbau der Linie.

EtherCAT hat immer eine Linientopologie. Über spezielle Sternverteiler lassen sich allerdings hardwaremäßig Sterntopologien aufbauen, dennoch durchlaufen alle Telegramme alle Slaves nacheinander.

Tabelle 1: Gegenüberstellung der Funktionsweise

Eigenschaft PROFINET EtherCAT
Kommunikationsart Client-Server (Master-Slave), geroutet oder geswitcht Master sendet durchlaufendes Frame an alle Slaves
Adressierung Gerätename und IP-Adresse Positionsbasiert (physikalische Reihenfolge)
Datenverarbeitung Telegramm pro Teilnehmer Ein Telegramm für viele Teilnehmer (on the fly)
Synchronisation durch Zeitslots (PTP-basiert) (nur bei IRT) durch verteilte Uhren (Distributed Clocks)
Netzwerkgeräte erforderlich Switches notwendig keine Switches – Slaves leiten Daten weiter

Funktionale Sicherheit (Safety)

PROFINET und EtherCAT ermöglichen die Übertragung sicherheitsgerichteter Signale gemeinsam mit Standarddaten auf derselben Leitung.

PROFINET verwendet dazu das Sicherheitsprotokoll PROFIsafe, das in vielen Siemens-Steuerungen (z. B. S7-1500F) und F-Peripheriegeräten eingesetzt wird. Damit lassen sich Anwendungen bis SIL 3 oder PL e realisieren.

EtherCAT nutzt FSoE (Fail Safe over EtherCAT), das vor allem in dynamischen Maschinen und Antriebsanwendungen eingesetzt wird. Auch hier sind Sicherheitsstufen bis SIL 3 oder PL e möglich.

Beide Lösungen sind vollständig in die jeweilige Engineering-Umgebung integrierbar – etwa TIA Portal bei PROFINET oder TwinCAT Safety bei EtherCAT.

Zykluszeiten

PROFINET RT bietet weiche Echtzeitfähigkeit mit Zykluszeiten im Millisekundenbereich.

PROFINET IRT bietet ebenfalls harte Echtzeitfähigkeit, kommt jedoch in der Praxis meist auf etwas längere Zykluszeiten.

EtherCAT wurde konsequent für höchste Echtzeitanforderungen entwickelt und erreicht Zykluszeiten im Bereich weniger hundert Mikrosekunden – ideal für hochdynamische Anwendungen wie Antriebsregelungen oder Präzisionsmaschinen.

Tabelle 2: Typische Zykluszeiten von PROFINET RT, PROFINET IRT und EtherCAT

PROFINET RT PROFINET IRT EtherCAT
Typische Zykluszeiten 1 ... 10 ms 250 µs ... 1 ms 50 ... 200 µs

Zykluszeitrechner:

Fazit:

Für viele Anwendungen in der Fertigungsautomatisierung ist PROFINET vollkommen ausreichend. Wenn extrem schnelle Prozesse (Positionierungen, Verpackungsmaschinen, ...) gefordert sind, ist EtherCAT die bessere Wahl.

Übertragungsmedien

Die folgende Tabelle zeigt, welche Übertragungsmedien bei PROFINET und EtherCAT möglich sind.

Tabelle 3: Übertragungsmedien bei EtherCAT und PROFINET

Medium PROFINET EtherCAT
Kupfer Möglich Möglich
Glasfaser (LWL) Möglich Möglich
Luft nur PROFINET RT nicht möglich

Topologie

Ein großer Unterschied zwischen PROFINET und EtherCAT liegt in der Netzwerkstruktur:

Tabelle 4: Topologien

Topologietyp PROFINET EtherCAT
Linie möglich bevorzugt
Stern möglich (Standard) nur mit Sternkopplern
Ring möglich (mit MRP-Protokoll (Media Redundancy Protocol)) möglich (mit aktiviertem Redundanz Modus)
Baum möglich eingeschränkt

PROFINET-Teilnehmer können im laufenden Betrieb gewechselt werden, sofern die Gerätekonfiguration erhalten bleibt.

EtherCAT basiert auf einer festen positionsbasierten Adressierung. Wird ein Teilnehmer gezogen, ändert sich die Topologie, was meist zu einem Busfehler führt.

Achtung: Bei EtherCAT können keine Switches verwendet werden! Um sternförmige Topologien aufzubauen, sind Sternkoppler notwendig (z.B. CU1128 von Beckhoff).

Diagnose

Diagnosefähigkeit ist entscheidend für Verfügbarkeit und Instandhaltung:

Tabelle 5: Diagnose

Kriterium PROFINET EtherCAT
Fehlerdiagnose (z. B. Kabelbruch) gut, über Geräte- und Portdiagnose sehr detailliert, Telegramm-basierte Fehlererkennung
Diagnosewerkzeuge z. B. TIA Portal, Wireshark, PRONETA z. B. TwinCAT, EtherCAT-Master-Monitore
Telegrammzugriff eingeschränkt (über IT-Schnittstelle) direkter Zugriff auf Frames (EtherCAT Telegramme enthalten Sub-Telegramme pro Slave)

Engineering

Der Aufwand bei Projektierung und Inbetriebnahme kann je nach System stark variieren.

Tabelle 6: Engineering

Aspekt PROFINET EtherCAT
Toolintegration meist in TIA Portal integriert z. B. TwinCAT oder Codesys
Gerätebeschreibung GSDML-Dateien (basieren auf XML) ESI-Dateien (basieren auf XML)
Adressierung über Gerätename / IP positionsbasiert, automatisch
Einrichtungsaufwand mittel bis hoch, noch etwas höher bei IRT eher gering
Flexibilität sehr groß eher gering

Kompatibilität & Herstellerunterstützung

Beide Systeme sind weit verbreitet, aber es gibt Unterschiede:

  • PROFINET ist der etablierte Standard im Siemens-Umfeld und in der Fertigungsautomatisierung sehr weit verbreitet.
  • EtherCAT dominiert vor allem in Maschinen mit hoher Dynamik, häufig im Maschinenbau (Beckhoff, B&R, etc.).

Tabelle 7: Kompatibilitätsvergleich

Kriterium PROFINET EtherCAT
Marktdurchdringung (Fertigungsautomation) sehr hoch mittel
Marktdurchdringung (Maschinenbau, Motion) mittel bis hoch sehr hoch
Standardisierung IEC 61158
IEC 61784 (Safety)
Organisation: PROFIBUS Nutzerorganisation e.V.
IEC 61158
IEC 61784 (Safety)
Organisation: ETG (EtherCAT Technology Group)

Typische Einsatzgebiete

  • PROFINET: Allgemeine Automatisierung, Fertigungslinien, Anlagen mit Misch-Kommunikation (IO, HMI, Safety, Antriebe)
  • EtherCAT: Hochpräzise Motion-Control-Anwendungen, Verpackungsmaschinen, Werkzeugmaschinen, Robotik

Fazit:

Beide Systeme haben ihre Berechtigung. PROFINET punktet mit Flexibilität, breiter Unterstützung und guter Integration in klassische Automatisierungsumgebungen. EtherCAT glänzt bei extrem niedrigen Zykluszeiten, einfacher Verkabelung und deterministischem Verhalten – perfekt für dynamische Maschinen.

Kosten & Preisvergleich

Tabelle 8: Typische Kostenfaktoren

Kostenfaktor PROFINET EtherCAT
SPS/Controller hoch (z. B. Siemens S7-1500) moderat (z. B. Beckhoff IPC oder CX-Serie)
IO-Module mittel bis hoch mittel
Engineering-Software TIA Portal lizenzpflichtig Twincat kostenlos (Basisausstattung)
Topologie-/Verkabelungskosten höher (Switches notwendig) gering (direktes Weiterleiten im Slave)

Fazit: EtherCAT bietet in der Regel Vorteile bei den Hardware- und Engineering-Kosten. PROFINET kann bei vorhandener Siemens-Infrastruktur wirtschaftlich sein, verursacht aber schon für die Entwicklung Lizenzkosten.

Quellen